Postkarte aus der Unterwelt


In einem uralten sumerischem Mythos steigt die Himmels- und Erdgöttin Inanna in die Unterwelt hinab, um ihre dunkle Schwester Ereshkigal zu besuchen. Auf dem Weg hinunter ist sie gezwungen, all ihre Identitäten abzulegen – doch das lasse ich gerne Chameli Ardagh erzählen:

Diesen Mythos können wir auch heute noch als Landkarte für unsere persönlichen Reisen in die Unterwelt verwenden. So wie Chameli sagt: Jede Frau steigt irgendwann in ihrem Leben in die Unterwelt hinunter – irgendetwas passiert, wo dir der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wo kein Stein auf dem anderen bleibt – ein Vorfall, der dein Leben in „davor“ und „danach“ unterteilt. Was genau diese Reise in die Unterwelt auslöst, ist sehr unterschiedlich, doch die Eckpunkte der Reise sind, archetypisch gesehen, dieselben.

In ihrem Inanna Online Sadhana hat Chameli einen Satz geprägt, als sie mit der Stimme von Ereshkigal gesprochen hat:

Du (=Inanna) kannst nicht einfach so hier herunter in die Unterwelt reisen. Das ist kein Ort für Sightseeing! Du kannst nicht einfach eine Postkarte aus der Unterwelt schicken, wo draufsteht: „Bin bald zurück!“ Das ist kein Urlaub hier!

Diese Wut der Ereshkigal vor mangelndem Respekt ihrer Kraft und ihrem Reich gegenüber verstehen wohl viele von uns. Mich berührt der Punkt, dass man nicht „einfach so“ eine Postkarte aus der Unterwelt schicken kann. Und dennoch ist dieser Text so etwas wie eine Postkarte aus der Unterwelt. Vielleicht nicht so leichtfertig und fröhlich wie eine Karte aus dem Urlaub – doch ein Lebenszeichen.

Ereshkigal_by_Uli_Feichtinger_vWEBDie Reise in die Unterwelt ist ein heiliger Weg der Transformation: Gewohntes legst du an den Toren ab. Hinter diesen Dingen hast du dich lange genug versteckt, sie passen gar nicht mehr zu der, die du in der Zwischenzeit geworden bist. Und dennoch fällt es dir nicht leicht, weil du mit jeder Schicht, die du ablegst, verletzlicher wirst – all die Identitäten haben dir Sicherheit und Schutz vermittelt. Auf dem Weg zu deiner dunklen Schwester stehen dir die Identitäten nur mehr im Weg – bis sie unten auf der tiefsten Ebene in der Begegnung mit Ereshkigal sterben und du auf dem Fleischhaken landest.

Wo bin ich jetzt gerade, als ich diesen Text schreibe? Ich glaube, ich hänge gerade an Ereshkigals Fleischhaken und verrotte… Die „Todesfeen“ („the mourners“ – die Trauernden) haben Ereshkigal inzwischen erreicht. Sie windet sich vor Schmerz. Alles kommt so klar zum Vorschein. Die beiden Mourners spiegeln ihr diesen Schmerz und die Klarheit, mit der alte Wunden zum Vorschein kommen. Zum Glück ist da niemand, der / die Ershkigal „reparieren“ oder an ihr herumdoktern will. Sie darf ganz in ihrem Schmerz aufgehen – begleitet von den beiden Mourners, die einfach bei ihr sind und den Raum für ihren Prozess halten.

Auf solch einer Reise darfst du dich immer wieder daran erinnern, dass jeder Schritt ein heiliger ist, dass alle Personen des Mythos Aspekte von dir selbst sind, dass es sich um eine archetypische Reise handelt. Mit dem Wissen darum kannst du aus dem Unabwendbaren ein Ritual machen. Das bedeutet nichts anderes, als Übergänge bewusst wahrzunehmen und zu gestalten. Ein Ritual braucht dabei nichts Großes zu sein, es darf eine symbolische Handlung, ein Gebet, eine Meditation, eine Dusche, eine Wanderung, etc. sein.

Sobald du erkennst, dass du dich auf eine Reise in die Unterwelt gemacht hast, verläuft dein Leben wahrscheinlich auf zwei parallelen Bahnen. Auf der einen Bahn gilt es, „das normale Programm“ zu absolvieren: einkaufen, sich um die Kinder kümmern, arbeiten, den Geschirrspüler einräumen, Wäsche waschen, etc. Auf der anderen Bahn bist du in der Unterwelt unterwegs und folgst vollkommen anderen Gesetzen, nämlich jenen deiner dunklen Schwester.

Daher empfehle ich immer allen Reisenden in der Unterwelt, sich selbst ganz viel Selbstfürsorge zukommen zu lassen. Sei mitfühlend mit dir selbst. Sei liebevoll mit dir selbst. Sei zart und achtsam mit dir selbst. Nimm dir Zeit für dich alleine. Verwöhne dich mit etwas, das dich nährt.

Erlaube dir selbst, um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen. Inanna hat am Eingang zur Unterwelt ihre Priesterin Ninshubur postiert, die dort trommelnd auf ihre Rückkehr wartet. Auf uns übertragen kann das bedeuten, dass du eine besonders gute Freundin informierst, die während deiner Reise dein Anker in der Welt ist. Oder du suchst dir (zusätzlich?) eine/n Spezialist/in. Woran du gute Raumhalter/innen erkennst, habe ich in meinem kostenlosen eBook „Du bist OK.“ niedergeschrieben.

Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit in deiner Umgebung irgendwen geben, der / die dir schon bald vermitteln wird, dass du nun schon „lange genug“ mit deiner Krise beschäftigt bist und nun endlich wieder zur Normalität zurück kehren sollst. Es lohnt sich, mit sich selbst ehrlich zu sein:

  • Bin ich tatsächlich im Selbstmitleid versunken?
  • Oder ist die Krise so tief, dass ich hier alleine nicht mehr raus komme?
  • Oder ist dies einfach noch die natürliche Trauer- und Rekonsolidierungsphase, die manche Mitmenschen nur schwer mitanschauen können, weil sie mich lieber wieder fröhlich, unkompliziert, funktionstüchtig, wie gewohnt stabil und stark sehen wollen?

Trauer_Unvollkommenheit_by_Uli_Feichtinger_vWEBAus meinen Erfahrungen von früheren Reisen in die Unterwelt wirst du bei deiner Rückkehr „nicht mehr die Alte“ sein. Du bist gewachsen, du bist deinem Kern wieder näher gekommen, du kannst klarer sehen. Du siehst vieles nicht mehr als selbstverständlich an, du bist dankbarer, du weißt dein Leben noch mehr zu schätzen. Du bist nicht mehr so anfällig für Angstmacherei, du kennst dich selbst besser, du bist großzügiger geworden.

Da gibt es nur eine Sache, die du wissen sollst: Wenn dir der Kelch der Bitterkeit angeboten wird, lehne dankend ab. Verbitterung würde sich wie ein Schleier über die heilige Reise-Erfahrung legen, dir die Reise „madig“ machen, dich in der Opferrolle halten und dich an Wachstum und Entfaltung hindern. Lass diesen Kelch an dir vorüber gehen.

Auch wenn ich hier am Fleischhaken meiner dunklen Schwester hänge, weiß ein Teil von mir, wie wichtig und heilig diese Reise, dieser Übergang, diese Transformation ist. Ich bin voll Dankbarkeit für meine Schwestern, die mir Mourners sind und mich nicht zu reparieren versuchen. Ich danke der dunklen Schwester Ereshkigal, die sich ihrem Schmerz hingibt, ihn ganz fühlt, sich vollkommen davon erfüllen lässt – weil sie weiß, dass bewusst gefühlte Emotionen wieder fließen können und sich so transformieren.

Ich weiß, dass viele von uns gerade auf solch einer Reise sind – und all jenen schicke ich dieses Lebenszeichen aus der Unterwelt. Weil ich weiß, dass die Welt von morgen darauf angewiesen ist, dass Frauen von heute all das Alte ablegen und immer mehr in ihre wahre Größe wachsen. Die Welt von morgen braucht Frauen, die sich auf Reisen in die Unterwelt kennen gelernt haben und daher ihr feminin-evolutionäres Leadership entwickeln können.

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