Priesterin von Avalon


Zur Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche leitete ich mein erstes englisch-sprachiges Retreat. Janey Francis, eine Kollegin aus dem internationalen Yogini Kreis, hatte mich eingeladen, mit ihr gemeinsam in Glastonbury, dem ehemaligen Avalon, ein Wochenende zu Maria Magdalena zu gestalten. Was für eine Ehre und Freude!

Doch es kam alles ganz anders als gedacht. Das Retreat selbst trat vollkommen in den Hintergrund, da in mir ein heftiger innerer Prozess begann, sobald ich britischen Boden betrat. Zuerst machte sich eine starke Verkühlung bemerkbar. Als wir dann in Vorbereitung auf unser Seminar zum Chalice Well pilgerten, besuchte mich ein Dämon, der mir das Thema des Prozesses entgegen rief: YOU DON’T BELONG HERE. (Du gehörst nicht hierher.) Ich erkannte diesen Dämon – wie Maria Magdalena – als Wächter, der mich an einer Schwelle auf die Probe stellt. Und im nächsten Augenblick wusste ich: Natürlich gehöre ich dazu. (Of course I do belong.) Wie wäre es denn jemals möglich, aus diesem unendlichen Mysterium des Lebens herauszufallen, in das wir alle so wunderbar hinein verwoben sind?

Wenige Stunden später setzte viel zu früh eine intensive Regelblutung ein. Da wusste ich, dass auf einer energetischen Ebene starke Prozesse am Laufen waren, auch wenn es mein Verstand nicht wirklich greifen konnte. Doch es galt ja auch, den Raum und den Rahmen für die Teilnehmerinnen unseres Retreats zu halten! Und Samstag Abend hatten wir exklusiv die Mary Magdalene Chapel von Glastonbury für eine heilige Zeremonie für unsere Gruppe gebucht.

Janey und ich hatten noch viel Zeit, bevor wir die Teilnehmerinnen begrüßen würden. So setzten wir uns nebeneinander für eine Stillemeditation, um mit Maria Magdalena bereits vor der heiligen Zeremonie in Kontakt zu treten. Ich bat sie um Informationen zu diesem heftigen Prozess, den ich erlebte – und prompt kamen intensive Gefühle hoch: Reaktionen auf Verleumdung, Demütigung, Verschmähung und Ausstoß aus der Gemeinschaft: You don’t belong here.

Ich spürte den Schmerz und den Schock … und gleichzeitig kam ein ganz klarer Gedanke, der sich in einer Aufrichtung des Körpers manifestierte: Look who I am today. (Schau, wer ich heute bin.) Ich wusste mich bei Maria Magdalena gut aufgehoben.

Die Zeremonie begann – Janey und ich hatten alles gut vorbereitet und geplant – Maria Magdalena schenkte uns ihren Segen. Die heilige Zeremonie wurde tatsächlich eine unvergessliche Erfahrung. Gemeinsam luden wir mit unserer femininen Praxis Maria Magdalenas Präsenz in unseren Kreis ein. Jede von uns hatte die Möglichkeit, ganz direkt mit ihr in Kontakt zu treten … und dennoch war keine alleine, denn wir saßen im Kreis der Frauen!

Ich fragte Maria Magdalena in dieser Meditation: Who am I? (Wer bin ich?) Ihre Antwort kam prompt und klar: You are my priestess and thus Sophia’s priestess. (Du bist meine Priesterin und daher Sophias Priesterin.) Oh, was für eine berührende Erfahrung. Was für Ehre, Demut, Hingabe, Freude, Überwältigung da auftauchte!

Anmerkung: Sophia ist in Maria Magdalenas Tradition der
Name der femininen Urpäsenz, des dunklen Urgrund allen Seins.

Und ja, da stand ich, in ihrer Kapelle, Seite an Seite mit meiner Priesterin-Schwester aus uralten Zeiten, eine Zeremonie für unseren Kreis der Frauen zu leiten, zu Ehren Maria Magdalenas. Look who I am today. Und dann trat jede Frau an den Altar und gab ihr Versprechen als Migdalah ab.

Anmerkung: Migdalah bedeutet Turm und ist der Titel, den Jesus Maria
nach der heiligen Ölung verleiht. Die Migdalah wurde später zu
Magdalena. Mehr dazu in meinem eBook über Maria Magdalena.

An diesem Abend linderten sich meine körperlichen Symptome merklich. Doch es galt noch das Retreat zu Ende zu bringen. Erst auf dem Rückflug hatte ich die Ruhe, all das Erlebte zu reflektieren und zu integrieren. Ich schrieb und zeichnete in mein Tagebuch. Und plötzlich schrieb es durch mich Zeilen, die mich erschauern ließen und die dieser Initiationserfahrung Sinn gaben:

Priesterin von Avalon war ich einmal.
Doch das ist vorbei. Ich bin nicht mehr an diese Tradition gebunden.
Ich bin eine freie Priesterin.
Ich folge meinem Herz und meinem Körper,
die auf Maria Magdalena und Ma Dark Vastness ausgerichtet sind.

Anmerkung: Ma Dark Vastness ist „mein“ Name für den dunklen
Urgrund allen Seins, den Maria Magdalena als Sophia bezeichnet.


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6 Gedanken zu “Priesterin von Avalon

  • Gisela

    Liebe Uli,
    das was du beschreibst berührt mich sehr. Ich hatte auch einmal einen Traum, in dem ich von einer Gruppe ausgestoßen wurde, und das schmerzte sehr. Ich hatte mich für die Kinder eingesetzt, sie hatten Essen gestohlen, weil sie Hunger litten und man ihnen nichts zu essen gab. Ich verließ die Gruppe mit stolz erhobenen Haupt und Trauer im Herzen über die Hartherzigkeit. Ich blickte in die aufgehende Sonne und nahm meinen Stab und ging los, der Sonne entgegen.
    Das kommt mir in den Sinn, wenn ich deine Zeilen lese. Jetzt kann ich erahnen, was das bedeuten kann. Ich bin nicht an alte Traditionen gebunden, ich bin frei meinem Herzen zu folgen und dem zu trauen, was in mir ist. Ich arbeite immer wieder mit Frauen und ich darf mir zutrauen, dass das was da ist genug ist. DANKE
    Danke, dass du das mit uns teilst und mich mit deinem Erlebten ermutigst

    • Uli Feichtinger Autor des Beitrags

      Liebe Gisela,
      Und nun berührst du mich mit deinem Teilen! Oh, ja, den Stab nehmen und der Sonne entgegen gehen. Dem eigenen Herzen folgen. Nicht mehr an die Tradition gebunden sein. Welche Freiheit. Auch wenn der Übergang vielleicht schmerzt. Oh, danke, dass du die Kinder schützt und stärkst! Oh, ja! Danke! <3 <3 <3 Von Herzen alles Liebe für jeden Schritt deines Weges! Uli

  • Maria

    Liebe Uli,
    danke für dein Erzählen! Ein berührender Prozess, den du durchgegangen bist.
    Für mich fühlt sich das so schlüssig, wahr und authentisch an.
    Du bist eine wunderbare Frau, Forscherin, Begleiterin, Führerin – eine Priesterin!
    Der Segen sei mit dir – auf deinem Weg
    Herzlich
    Maria

    • Uli Feichtinger Autor des Beitrags

      Oh, liebe Maria, vielen, vielen Dank für deine herzlichen Worte! Ich danke dir von ganzem Herzen, dass du teilhast und mich siehst. <3 Ich sehe die Migdalah in dir! <3 Alles Liebe, Uli